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The good, the bad, the ugly

Drei nicht ganz taufrische Mathematik-Bücher

Alice lachte: »Ich brauche es gar nicht zu versuchen«, sagte sie; »etwas Unmögliches kann man nicht glauben.«
»Du wirst darin eben noch nicht die rechte Übung haben«, sagte die Königin. »In deinem Alter habe ich täglich eine halbe Stunde darauf verwendet. Zuzeiten habe ich vor dem Frühstück bereits bis zu sechs unmögliche Dinge geglaubt.«

Während einer meiner diesjährigen (Dienst-) Reisen verlief ich mich mal wieder in einen Buchladen (es war, glaube ich, in Bremen). Dort war ein Stand des Spektrum-Verlages aufgebaut, auf dem einige neue Bücher und auch Sonderangebote zum Verkauf angeboten wurden. Nach längerem Stöbern nahm ich drei Bücher mit.

Wie der Zufall will?

Dies ist ein Buch des russischen Sachbuchautors Lew Tarassow. Das Inhaltsverzeichnis las sich erst einmal verheissungsvoll: Da war von "Informationsgewinnung aus dem Rauschen" die Rede, von der "Thermodynamik und ihre Rätsel", "Wahrscheinlichkeit und Biologie" oder auch vom "Gezähmten Zufall". Es versprach also, eine spannende Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie zu werden. Doch leider scheint der Autor ein staubtrockener Mathematiklehrer zu sein. Denn genau so ist das Buch. Es behandelt ungefähr den Stoff einer Einführungsvorlesung in Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie und ist ein um einige Anekdoten bereichertes Vorlesungsskript. Schon die Unterkapitel zeigen an, wo es langgeht, nichts mehr von den witzigen Hauptüberschriften, sondern hier geht es um "Typen von Bedienungssystemen", die "Zyklen der Carnot-Maschine", um den "Einsatz der Boltzmannschen Formel" und um "Makro- und Mikrozustände des Systems."

    Ist das Buch also schlecht? Nein, wer eine grundsolide Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie sucht, sei es als Ergänzung zur Vorlesung oder sei es, um längst verschütteten Stoff wieder aufzufrischen, ist mit dem Buch sicher gut bedient. Aber es wird mit Sicherheit keine neuen Freunde der Wahrscheinlichkeitstheorie gewinnen. Und Vergnügen beim Lesen des Buches werden auch nur hartgesottete Hardcore-Mathematiker haben. Warum dieser Band bei Spektrum in die Sparte Unterhaltungsmathematik geraten ist, verstehe ich zumindest nicht. Es sei denn, das fast vollständige Fehlen jedes Beweises führt bei Spektrum automatisch zu dieser Klassifizierung.

    Und wer eine spannende Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie sucht, die auch noch Spass macht, witzig und allgemeinverständlich geschrieben ist, der sollte immer noch zu Gero von Randows "Das Ziegenproblem" greifen. Dieses Taschenbüchlein kostet auch nur fast die Hälfte des - schon preisreduzierten - Buches von Lew Tarassow.

Lew Tarassow: Wie der Zufall will? Vom Wesen der Wahrscheinlichkeit, Heidelberg (Spektrum Akademischer Verlag) 1998
Gero von Randow: Das Ziegenproblem. Denken in Wahrscheinlichkeiten, Reinbeck (rororo) 1996

Buch-Recycling und Mathe-Magie

Auf das neue Buch von Clifford A. Pickover war ich sehr gespannt. Pickover ist einer meiner Lieblingsautoren und hatte in anderen Bänden gezeigt, daß er spannend und unorthodox an selbst komplizierteste mathematische Probleme herangehen kann und sie dem Laien wie auch dem Fachmann spannend und verständlich aufbereitet. Um so enttäuschter war ich nach der Lektüre.

1. Der Band beinhaltet kaum etwas Neues. Fast alle im Buch behandelten Sujets sind in einem der früheren Bücher von Pickover schon einmal aufgetaucht, die meisten in seinem letzten, schon etwas schwächeren "Keys to Infinity".

2. Sie sind mit einer Mystik und Religiösität verbrämt, die Zweifel am Geisteszustand des Autors aufkommen lassen. Manchmal habe ich den Eindruck, Pickover veralbert uns, die meiste Zeit aber hat der Leser den Eindruck, er meint es Ernst. Mathematik als Gottesbeweis sollte aber eigentlich langsam aus der Mode kommen.

Das einzig Witzige an dem Band ist die Rahmenhandlung, die den Chefhistoriker eines intergalaktischen Museums und einen Alien mit diamantverstärktem Exoskelett aus der Zukunft mit Hilfe einer Zeitmaschine durch die Geschichte der Mathematik reisen lässt, von Pythagoras (wo sich der Chefhistoriker ausgerechnet in die Frau des Philosophen verliebt) bis hin zum Ende der Welt. Aber schon die Stationen der Reise, Phytagoras, Raimund Lullus, Stonehenge und das "Ende der Zeit" zeigen, das es dem Autor mehr um Mystik denn um Mathematik geht. Auch er versucht, uns vor dem Frühstück schon an unmögliche Dinge glauben zu lassen. Schade, es hätte ein schönes Buch werden können, so ist es ein Ärgernis geworden.

    Christoph Pöppe hat ehrlicherweise das Buch in "Spektrum der Wissenschaften", also im eigenen Verlag, gebührend verrissen und so bleibt mir nur, die Verlagsmacher daran zu erinnern, daß neben diesem Schnellschuß noch einige von Pickovers "guten" Büchern nicht auf Deutsch erschienen sind, so z.B. "Mazes for the Mind" und "Computers, Pattern, Chaos and Beauty". Mit dem vorliegenden Band haben sich weder der Autor noch der Verlag einen Gefallen getan.

Clifford A. Pickover: Die Mathematik und das Göttliche, Heidelberg (Spektrum Akademischer Verlag) 1999

Reisen durch das Matheland

Nicht nur Ian Stewart ist nach Pentagonien gereist (vgl. Sylvester 1998), auch Ivars Peterson hat "Mathematische Expeditionen" durchgeführt. Herausgekommen ist ein spannender Reisebericht, der nun bei Spektrum in einer verbilligten Paperbackausgabe vorliegt. Folgende Gebiete von Matheland hat der Autor unter anderem bereist: Compumania, Numeralis und das Land der Mengenlehre. Er hat die Turing-Straße durchquert und ist durch die Wüste der Vermutungen über die Meerenge der Algorithmen zur Küste der Komplexität gelangt. Und von all diesen Reisen hat er spannende Berichte mitgebracht. Er zeigt, wie man Primzahlen jagt, Räume verknotet und Geheimnisse bewahrt. Selbst das Abbeissen eines Rodonkuchen führt zu mathematischen Verwicklungen und kleine Moleküle unternehmen fraktale Ausflüge.

    Und alles ist solide erzählt und illustriert. Ähnlich wie Ian Stewart verzichtet Peterson fast völlig auf Formeln ohne je trivial zu werden. Sogar einige wichtige Beweise werden durchgeführt und erläutert - ohne den Leser zu überfordern oder zu langweilen. Peterson schafft es, den Leser bis an die neueren Gebiete der modernen Mathematik heranzuführen, und das auf eine äußerst unterhaltsame und trotzdem lehrreiche Weise. Klaus Volkerts hat es in seiner Übersetzung geschafft, Stil und Spannung beizubehalten.

    Wer also noch knapp zehn Euro übrig hat und nur ein wenig an Mathematik interessiert ist, der suche die nächste Buchhandlung seines Vertrauens auf und kaufe dieses Buch.

Ivars Peterson: Mathematische Expeditionen. Ein Streifzug durch die moderne Mathematik, Heidelberg (Spektrum Akademischer Verlag) 1998


Erstveröffentlichung: »Sylvester« 1999