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Des Schockwellenreiters Seiten über (Unterhaltungs-) Mathematik

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Mathematik macht Spaß - immer noch!

Auch in diesem Jahr fanden wieder einige nette Bücher über Mathematik über meinen Nachttisch den Weg in unsere Billy-Regale. Die schönsten davon möchte ich Euch nicht vorenthalten

I.

Was trieb eine typisch deutsche Bürgerfamilie gegen Ende des 19. Jahrhunderts? Sie wartete darauf, daß abends der Papa nach Hause kam und trieb dann Mathematik. So zumindest erzählt es Karl Ferdinand Braun, der »Vater des Fernsehens« (Braunsche Röhre), »Großvater des Transistors«, so sein amerikanischer Ehrentitel und Nobelpreisträger für Physik des Jahres 1909. Als Junglehrer schrieb er 1875 ein Buch (erschienen 1876), das den bezeichnenden Untertitel »Eine Anleitung zu aufmerksamer Naturbetrachtung, begleitet von zahlreichen Aufgaben zur Übung des Urteils und der Anschauung: Entwicklung der Zahlengesetze der Natur, Erklärung des inneren Grundes alltäglicher Erfahrungen, Anregung im Gebiete der Formenlehre, Benutzung der Mathematik zur Aufstellung wie Lösung von Karten- und Zahlenkunststücken und Aufgaben geistanregender Spiele« trug. Dahinter verbirgt sich eine überwältigende Sammlung von Knobeleien, Gedankenexperimenten, Logeleien und Paradoxien, verpackt in sechzehn Abendunterhaltungen, die besagter Vater mit seinen Söhnen und den Freunden der Söhne - ja, man kann sagen - zelebriert.

Dabei geht Braun neben aller Unterhaltung immer sehr didaktisch vor: »Es gibt«, schreibt er im Vorwort, »eine leichte, flüssige Schreibweise, welche sich glatt liest, aber den Übelstand hat, daß man hinterher kaum noch weiß, was man gelesen hat. [...] Wenn er [der Leser, -ka-] sich dann die Mühe gibt, aus solch einem Buch das Wesentliche sich einzuprägen, so hat er die drei- und vierfache Arbeit.« Stattdessen insistiert Braun darauf, von Anfang an Lineal und Zirkel, Bleistift und Papier in die Hand zu nehmen, denn nur, was man sich erarbeitet hat, hat man verstanden.

Das Buch ist - wenn man mal vom heute betulich wirkenden Schreibstil des 19. Jahrhunderts absieht, witzig geschrieben, die Themen reichen vom Bankrott einer Spielergesellschaft, der Frage, warum drei Hasen nur so viel hören, wie sonst anderthalb, über Kirmesmathematik, Kalendermathematik, der Regel zur Berechnung von Ostern, Gebieten der Kombinatorik bis hin zum zenonischen Sophismus und diophantischen Gleichungen. Krönender Abschluß bildet schließlich der Sylvesterabend: Von der Anthropologie der Zähl- und Ziffernsysteme à la Humboldt spannt sich der Bogen zur Geschichte der Wissenschaft, deren Beobachtungen dank der Mathematik auf ein sicheres Fundament gestellt werden konnten.

Dem Rowohlt-Verlag gebührt dank, daß Buch in einer erschwinglichen Taschenbuchausgabe wieder zugänglich gemacht zu haben. Und auch die witzigen und anregenden historischen Stiche sind in dieser Neuausgabe vorhanden. Ein wahres und anregendes Lesevergnügen für alle, denen der Spaß an der Mathematik und den Naturwissenschaften in der Schule nicht verdorben wurde. Oder auch für diejenigen, die den Spaß an der Mathematik und den Naturwissenschaften wieder entdecken wollen.

Karl Ferdinand Braun: Geheimnisse der Zahl und Wunder der Rechenkunst. Mit einer Einführung von Hans-Erhard Lessing, Reinbek (rororo 60808) 2000, 317 Seiten, DM 22,90

II.

Das nächste Buch hinterließ bei mir einen etwas zwiespältigen Eindruck. Oder es kam um Jahre zu spät. Die Rede ist vom zweibändigen Märchen vom Apfelmännchen, das ebenfalls bei rororo in der Reihe science erschienen ist. Die Frage ist, welche Leserschaft der Verlag mit diesem Band erreichen wollte? Die Klassifizierung der Leser als »Kinder, die gern erwachsen sein, und Erwachsene, die gern Kinder bleiben möchten« ist doch etwas zu unpräzise. Dabei ist die Idee erst einmal bestechend. Expeditionen in den Kosmos der Mandelbrotmenge werden in die Form kleiner Märchen gekleidet und erzählt. Das verspricht doch lehrreiche Unterhaltung, jenseits aller trockenen Mathematik, mit der wir alle im Schulunterricht gequält wurden. Nur - das Buch ist nicht nur jenseits aller trockenen Mathematik, sondern leider auch jenseits aller Mathematik. Und da beginnt das Ärgernis. Bis auf wenige Ausnahmen haben die Märchen keinen Bezug zu dem in der Mandelbrotmenge entdeckten - von oberflächlichen Analogien (Seepferdchen, Seeigel) einmal abgesehen. Dabei sind die Geschichten durchaus witzig geschrieben, entbehren nicht einer gewissen Poesie und an einigen Stellen auch eines durchaus tiefgründigen Humors. Aber mit der Mandelbrotmenge habe sie nicht das Geringste mehr zu tun.

Und die Zeichnungen erst. Im Jahre 2000 ein Buch zur Mandelbrotmenge neu herauszugeben, dessen Illustrationen nur in den 16 Farben der EGA-Grafik gehalten sind, ist schon eine Frechheit. Auch der Hinwies, daß dieses Buch und damit auch die Bilder entstanden waren, weil der Verfasser nach der Wende und der daraus resultierenden Abwicklung der Akademie der Wissenschaften der DDR erst einmal arbeitslos war und eine sinnvolle Beschäftigung suchte, entschuldigen das Buch nicht.

Ist das Buch schlecht? Nein, sicher nicht. Es kann - wie oben schon einmal erwähnt - durchaus vergnüglich sein. Nur - der Leser sollte schon über hinreichendes Wissen über den mathematischen Hintergrund von Fraktalen und dem Star der fraktalen Geometrie, dem Apfelmännchen verfügen, um Vergügen an diesem Buch haben zu können.

Ärgerlich ist allerdings, das zumindest die von mir erworbene Ausgabe so miserabel gebunden (gelumbeckt) war, daß abzusehen ist, wann ich nur noch über eine Lose-Blatt-Ausgabe verfüge. Das bin ich von Rowohlt eigentlich nicht gewohnt. Und dafür war es mit knapp 60 Mark für beide Bände eigentlich auch zu teuer.

Karl Günter Kröber: Das Märchen vom Apfelmännchen. Band 1: Wege in die Unendlichkeit, Reinbek (rororo 60881) 2000, 269 Seiten, DM 29,90 und Band 2: Reise durch das malumitische Universum, Reinbek (rororo 60882) 2000, 319 Seiten, DM 29,90

III.

Diesen oben angesprochenen mathematischen Hintergrund kann man hier erwerben. Ich weiß nicht, was Komplexität. Das gezähmte Chaos vorher gekostet hat, aber zur Zeit wird es im modernen Antiquariat verramscht, u.a. bei Kiepert für DM 24,90. Wer es irgendwo findet, unbedingt zugreifen. Ich kannte den Band schon von der amerikanischen Originalausgabe, die in der Bibliothek meines Brötchengebers vorhanden ist, die deutsche Ausgabe ist noch einmal überarbeitet und erweitert worden.

Laut eigenem Vorwort sind die Verfasser angetreten, die Lücke zwischen den mehr umgangssprachlichen Büchern zur Fraktalen und Komplexität, deren fehlende Genauigkeit den Zugang zum Thema oft in frustierender Weise nur verschwommen und ungenau ermöglichen und der oft fachspezifisch und fachidiotisch ausgelegten Forschungsliteratur zu schließen. Auch wenn dies in den beiden Bänden von Peitgen, Jürgens und Saupe meiner Meinung nach schon einmal hervorragend gelungen war (vgl. Sylvester 1998), wer eine kompaktere und trotzdem nicht trivialisierende Darstellung wünscht, ist mit diesem Buch hervorragend bedient.

Es ist wieder einmal eines der Bücher, das sich trotz der Vorbehalte der Verleger nicht scheut, auch mathematische Formeln zu verwenden und es ist aus einer Vorlesungsreihe für Nichtnaturwissenschaftler am Union College sowie an den Universitäten von Yale und Richmond entstanden. Das merkt man dem Buch an. Trotz aller naturwissenschaftlicher Genauigkeit bemüht es sich, spannend zu sein, einfach zu sein ohne zu trivialisieren und den Leser bei der Stange zu halten. Benoît B. Mandelbrot schreibt dazu im Vorwort: »Ich kam zu der Überzeugung, daß die Vorlesungsreihe und das Buch von Peak und Frame eine gute Einführung für Nichtnaturwissenschaftler sind. Ihr Ansatz verdient es, in den Lehrplan von Yale und in den anderen Universitäten aufgenommen zu werden. Wenn das geschieht, sollte sich die erbärmlich kleine Schar von geisteswissenschaftlich ausgebildeten Menschen, die der Mathematik und der Naturwissenschaft wohlgesonnen sind, drastisch vergrößern.«

Das Spektrum des Buches ist weitgestreut, die meisten Kapitel lassen sich nach der Lektüre des einführenden ersten Kapitels unabhängig voneinander lesen. Es reicht von Iterierten Funktionsystemen über gebrochen-rationale Dimensionen, es geht um Chaos und Ordnung, den Unterschied zwischen Zufall und Chaos, die Behandlung der Mandelbrotmenge nimmt einen breiten Raum ein und schließlich wird auch das Thema Künstliches Leben und Komplexität nicht ausgeklammert.

Die mathematische Behandlung der Themen ist hinreichend gründlich, sie liegt auf dem Niveau der Bücher von Ian Stewart oder Martin Gardner und genauso wie die Bücher dieser beiden von mir sehr geschätzten Autorn macht die Lektüre dieses Buches einfach Spaß. Wer es also in einem modernen Antiquariat entdeckt: Zugreifen!

Nur die sympathisch-naive, vermutlich mit einem Word-Dokument erstellte und fotographisch reproduzierte Typographie der Original-Ausgabe fehlt der deutschen Übersetzung. Der Verlag - immerhin Birkhäuser - hat auf einen professionellen Satz gesetzt. Auch wenn es dem Buch gutgetan hat, den Charme des Selbstgemachten habe ich ein wenig vermißt.

David Peak und Michael Frame: Komplexität. Das gezähmte Chaos, Basel - Boston - Berlin (Birkhäuser Verlag) 1995, 367 Seiten (Titel der Originalausgabe: Chaos under Control. The Art and Science of Complexity, New York (W.H. Freeman and Company) 1994)

Und hier gibt es die Software zum Buch


Zuerst erschienen in der Sylvester 2000